1970 - 2020
50 Jahre Kuckuck Schallplatten
BEST OF AUGST & DAEMGEN
Kuckuck Schallplatten 11111-2
Eine Auswahl aus allen Augst & Daemgen-CDs und einigen bisher
unveröffentlichen Stücken
Manchmal sind Hits milieugebunden: Legendär ist ein Auftritt von Augst & Daemgen
am 19.11.2011 im Institut für Vergleichende Irrelevanz (IVI), der Ort eines linken
Studierendenmilieus. Hier traten—politisch nicht ganz unerwartet—klare Hits zu Tage. So
einige Lieder aus dem MARX -Album (2004) mit historisch bedeutsamen Stücken wie »Die
Internationale« oder »Der heimliche Aufmarsch«.
Aber es gibt auch messbare Hits, wie Augst & Daemgen schließlich feststellten, als
sie sich einmal ihre Bestenlisten, also die meistgeklickten Lieder bei iTunes, YouTube und
Spotify, anschauten. Beim Vergleichen der verschiedenen Bestenlisten, also hier der
meistgehörten Lieder, zeichnete sich eine Tendenz zu den ausarrangierten, besonders
dichten Stücken ab; vornean auch hier »Der heimliche Aufmarsch«.
Diesem Marktgeschrei der Musikindustrie konnten und wollten sich
Augst & Daemgen nicht annehmen – und dennoch sollte ein BEST-OF-Album von ihnen
erscheinen. Ganz im Sinne von Albert Oehlens Ausspruch »Erkennen, negieren, eliminieren
und trotzdem machen« entstand die Idee, etwas ganz Neues entstehen zu lassen, wo
BEST OF vor allem als Behauptung stehen bleibt.
Die vorliegenden Stücke sind ursprünglich alle von Marcel Daemgen bearbeitet
worden, und er hatte keine Lust diese selbst nochmal zu re-mixen – dies sollte dann schon
jemand anderes machen. Augst nahm dies zum Anlass für eine ganz persönliche
Vergangenheitsbewältigung: die eigene Musik einmal neu beschauen, dekonstruieren, die
einzelnen Tonspuren neu mischen, eben re-mixen.
Im Frühjahr 2014 stellte Daemgen die alten Masterspuren bereit (was nebenbei
bemerkt bei 15 Jahren Schaffensphase über die 2000-er Jahre hinweg zu massiven
Softwarekonflikten führte). »Raus, raus, raus«, waren dabei die Worte von Augst beim
Berichten von seinen Studiosessions. Er hätte erstmal alle Spuren, die ihm auf den ersten
Blick nicht gefielen, ausgeschaltet. Den Neubeginn, die Revisitation ihrer Hits machte ein
jedes Mal die Stimme, also der Ausgangspunkt eines jeden Liedes, das einer Begleitung
bedarf – oder auch nicht. So folgt die erste Strophe von »Der Winter ist vergangen« allein
sich selber. Von dort aus entschied sich Augst in hörbar wenigen Momenten dazu, wieder
einzelne Stimmen einzuschalten oder auch, wie z.B. in »Illusionen« geschehen, neue
aufzunehmen. Der Bombast der hochproduzierten »Hits« reduziert sich durch den Re-mix
von Augst aufs Minimalste. Daraus entstanden sind elf vollständig neue Liedproduktionen,
die den ausformulierten Impetus des vergangenen Schaffens hinter sich gelassen haben.
Damit folgt auch dieses Remix-Album einer Tendenz im Schaffen der beiden Künstler
der letzten Jahre, die 2013 in »Dein Lied» mündete. Dieses erste Album mit Liedtexten von
befreundeten Künstlern zeichnet sich aus durch ein äußerst gut gesetztes Wenig, ein karges
Schlagzeug Sven-Åke Johanssons mit einigen elektronischen Bässen oder Klangflächen. Im
Zentrum stehen die Stimme, das Wort, der Text.
BEST OF beinhaltet neben elf Remixen aus den frühen Alben »Brecht Eisler« (1998),
»An den deutschen Mond« (2001), »Marx« (2004), »Jugend« (2007) und »Arbeit Fassbinder
Raben« (2010) auch ein unveröffentlichtes Lied—das »Solidaritätslied« erklang bisher nur in
Konzerten—sowie zwei unbearbeitete Originale, »Der heimliche Aufmarsch« und »Die
Moorsoldaten«, in die Augst nicht nochmal künstlerisch eingreifen wollte.
Die Revisitation des alten Schaffens lässt viel erhoffen: Sich noch einmal an der
eigenen Vergangenheit abarbeiten, im Sinne von Augsts Worten »Raus, raus, raus«, um
schließlich neue Wege zu finden!?
Bastian Zimmermann
Jede Musikgruppe entscheidet sich irgendwann dazu, vielmehr: wird von ihrem
Produzenten, dem Produktionslabel, dazu entschieden, eine BEST-OF-Scheibe ihrer Hits zu
präsentieren. So geschah es auch Oliver Augst und Marcel Daemgen, als ihnen ihr Produzent
Eckart Rahn nach Abschluss der im Jahr 2013 veröffentlichten CD »Dein Lied« nahelegte, es
wäre nach sieben Alben und 15 Jahren intensiver Schaffenszeit (vormals unter dem Namen
Arbeit) an der Zeit, ein BEST-OF-Album herauszubringen. Die BESTEN LIEDER!? Welche sollen
das sein? Wie soll man Hits eigentlich bestimmen, nach welchen Kriterien der Schönheit,
des Marktwertes oder Ähnlichem? BEST OF bedeutet doch meist, die Hits sind bekannt, alle
wollen sie, und die Fans wie die Plattenfirma freuen sich über die lukrative
Zusammenstellung der Liste? Quantität ist Qualität. Zwischen Klangfeldern von
experimentellem Noise und süßlichem Schlager changierend, sahen sich die beiden zu
keinem Zeitpunkt einem Zuspruch ausgesetzt, der sie an »ihre« Hits hat denken lassen. Wie
also ein BEST-OF-Album produzieren?
Die Welt ist voll von erhobenen Daten. Eine (um es kurz im betriebswirtschaftlichen
Jargon aufzuarbeiten) qualitative Auswertung ist schier kaum noch möglich. Deshalb
werden Hierarchien eingeführt, Muster, Schemata, die das Eine vom Anderen, das Bessere
vom Schlechteren unterscheiden: Ich habe 95 von 100 Matchpoints in einer Dating-App mit
einer Frau aus Sachsenhausen, mein Regenmantel fiel im Test wegen schlecht gemachter
Nähte durch, und bevor ich mich an diesen Booklet-Text gesetzt habe, musste ich noch
schnell den Keller entrümpeln und ein Konzept abschicken: Jeder führt Listen, ordnet die
Masse an Dingen für sich. Und vielmehr noch existieren die Listen eines allumgreifenden
Marktes, der objektivere Quantitäten, offizielle Standards produziert, die durch die
zunehmende personalisierte Benutzerumgebung der Medien immer mehr ins Private
reichen. BEST-OF-CDs sind gegenüber einem »Das könnte Ihnen gefallen« schon fast
antiquiert.
Es sind weiter völlig verschiedene Listen der Musik von Augst & Daemgen vorstellbar:
So unter anderem »Das Schlager-Album« oder »Das Noise-Album«. Jedes dieser Alben
würde eine ganz eigene Sicht auf das Schaffen der beiden werfen. Wer ist Oliver Augst?
Einer die Herzen erobernder Entertainer oder doch der Experimentalmusiker mit
ausgebildetem Tenor? Ein BEST OF kann also spannend werden mit der Frage nach der
Retrospektive und ihren Kriterien. Das kennt man aus dem Kunst-Kontext: Die vergessenen
Zeichnungen, oder eben die Top-10-Werke (die teuersten, meistgereisten, größten,
kleinsten…). BEST OF in der Musik ist demnach immer eine Form der Retrospektive, ein
Kramen in der Vergangenheit und des biografischen Zuschnitts. Oder doch nicht? Es gibt
Schlagergruppen, die ihre Karrieren mit BEST-OF-Alben begonnen haben.
Oliver Augst (rechts im Bild) und Marcel Daemgen bei der Release Party ihrer
BEST OF…CD in der Galerie Basis in Frankfurt am Main am 6.2.2015
Foto: Eckart Rahn
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