hans otte
NACHRUF AUF EINEN IN SEINER MUSIK WEITERLEBENDEN
Zum Tod des Komponisten, Pianisten und Radiopioniers
Hans Otte (1926-2007)
von Peter Michael Hamel
"Wir kennen ihn als stillen Beweger. Die laute
Welt vergisst Leute seines Schlages leicht..."
beginnt Lutz Lesle in der "Welt" vom 29.11.06
seinen Text zur Hans-Otte-Aufführung in der Hamburger
Freien Akademie. Das veröffentlichte Musikleben
mag ungerecht, undankbar und sehr vergesslich sein.
Es muß beim Künstler jedoch auch eine Persönlichkeitsstruktur
existieren, die auf sich selbst aufmerksam machen
will, Narzißmus, Selbstbespiegelung und Geltungsbedürfnis
müssen eine Rolle spielen. Oder ein Künstler
hat hingabevolle Helfer wie Verleger oder Biographen,
im Falle des am 2.Weihnachtstages 2007 nach langer
Krankheit verstorbenen Freundes Hans Otte ist das
im besonderen der Autor des 2006 erschienenen Buches
"Klang der Klänge/Sound of Sounds",
der Musiker und Musikologe Ingo Ahmels aus Bremen,
sowie Eckart Rahn und seine Firma Celestial Harmonies.
Wer nicht glaubt, dazu gehören zu müssen,
selbstgenügsam, mit dem Segen eines inneren spirituellen
Weges "ichfrei" zu wirken vermag und absichtslos
handeln kann, der mag nach außen hin in Vergessenheit
geraten. Und eine Hoffnung auf späte Genugtuung
in Form der Wiederentdeckung zu Lebzeiten impliziert
eine vorhergegangene Demütigung oder vermeintliche
Zurücksetzung. Wer wie John Cage und auch Hans
Otte den (buddhistischen) Spruch verinnerlicht: "Don't
look for the fruits of your karma", den mag später
Ruhm eher amüsieren, wenn dieser noch erlebt
wird, wie von Feldman und Scelsi oder jetzt eben vom
81-jährig verstorbenen Hans Otte, bei dem stets
alles "seinen guten Gang" ging, bis zuletzt...
Die Doppel-CD mit Hans Otte als eigenem Interpreten
seiner Klaviermusik, welche von Celestial Harmonies
neben der Faksimileausgabe des Otteschen Stundenbuches
Ende 2006 veröffentlicht wurde, enthält
einen kundigen booklet-Text von Ingo Ahmels, der sich
als profunder Kenner des Otteschen
Werkes erweist. Am Ende ist da folgendes zu lesen:
"Vom Autor des Textes liegt bei Schott Music
International eine umfängliche Darstellung zu
Leben und Werk Hans Ottes vor. Die zweisprachige Publikation,
der eine Audio-CD und eine DVD beigefügt sind,
trägt den Titel `'Hans Otte - Klang der Klänge
/ Sound of Sounds' . Neben Studien zu Ottes Klaviermusik
und seiner Klangpoetik enthält die Veröffentlichung
eine Fülle audiovisueller Informationen, die
der Öffentlichkeit großenteils erstmals
zugänglich gemacht werden".
In der Tat zeichnet das Buch "Klang der Klänge"
eine imponierende Vollständigkeit aus - ist selbst
ein Lebenswerk mithin - und die Fülle des Materials
ist anschaulich geordnet, als Promotionsarbeit dennoch
spannend lesbar und auch hervorragend zu verwenden
im Theorie- und Analysebereich jeder Musikhochschule.
Darüber hinaus wird der Klangkünstler und
Radiomacher Otte beschrieben, der in Europa immer
noch unterschätzt vom "anglo-amerikanischen
Kulturraum gerade erst" wahrgenommen wird.
"Die auch deshalb zweisprachig gefasste Studie
zur Biografie und zum künstlerischen Schaffen
des unaufdringlich Kreativen beleuchtet dessen weltanschauliche
und ästhetische Orientierung und stellt die Grundlagen
für eine angemessene Rezeption bereit."(Covertext)
Alleine die lebendige DVD
mit einem faszinierenden Video-Monolog Ottes zu "seinem"
20.Jahrhunderts und dem bewegenden Gespräch mit
dem Pianisten Herbert Henck über Otte als Cage-Vermittler
macht die ganze Veröffentlichung besonders wertvoll!
Ingo Ahmels ("infolge jahrelanger unbezahlter
Otteforschung fast pleite") zieht in einer Synopse
innerhalb der "Summa" seiner großartigen
Arbeit Bilanz, indem er Ottes Ansatz der ästhetischen
Sensibilisierung als poetischen Reflex gegen die "als
totalitär vereinnahmter Jugendlicher erlittene
Verrohung" deutet, der, auch als jüngster
Musikabteilungsleiter (bei Radio Bremen), von seinen
aufbauenden Erfahrungen im demokratischen Nachkriegs-Amerika
beseelt zeitlebens in profunder und leidenschaftlicher
Weise "einstand für den kulturellen Aufbruch
der deutschen Bundesrepublik", um den "Horizont
von monokausalen Dogmatismen zum offenen System des
ästhetischen Pluralismus zu weiten."
Der 'Piano Man' Otte ertastete unbeirrt auf abendländisch-induktive
Weise seinen persönlichen Weg zum ganz eigenen
Klang der Klänge, zwei große Klavierzyklen
gerieten ihm so zu Meisterwerken, in letzterem näherte
er sich seinem Freund John Cage, jedoch nicht aus
orientalischem, sondern aus okzidentalem Geist der
fernöstlichen Zen-Metapher und machte sich deren
Perspektive auf das Sosein der Dinge mit gebotener
Langsamkeit künstlerisch und persönlich
zunutze. "Wünschenswert wäre insbesondere
die genauere Aufarbeitung der Rundfunkarbeit Hans
Ottes. Damit ließe sich dazu beitragen, der
Musikarbeit im Rundfunk ein historisch fundiertes
Selbstverständnis zurückzugeben."
(Ahmels,S.130 f.)
Die vorliegende Studie hatte es sich zur Aufgabe
gemacht, mit dem Otte-Werkverzeichnis und dem digitalen
Materialpool Grund für weitere Projekte zur Erforschung
des komplexen Schaffens und Wirkens Hans Ottes zu
legen. Diese Aufgabe wurde hier bestens und zukunftsweisend
gelöst. Jetzt sind Buch und CDs, inklusive der
2007 ebenfalls bei Celestial Harmonies erschienenen
"Piano Edition" mit der Einspielung von
Ottes "Stundenbuch" durch den australisch-kalifornischen
Meisterpianisten Roger Woodward zu Vermächtnissen
des großen Menschen, Komponisten und Musikers
Hans Otte geworden.
Peter Michael Hamel
Foto mit Hans Otte und Peter Michael Hamel im Frühjahr
2007
"letzte Begegnung und Abschied" (Copyright
Uta Otte)